Wasserstoff-Bürgerdialog mit reger Beteiligung
Am 9. Juni 2021 luden die drei hessischen Fraunhofer-Institute IEE, IWKS und LBF zu einem digitalen Wasserstoff-Bürgerdialog ein. Mehr als 100 Teilnehmende nutzten die Möglichkeit zu Austausch und Diskussion.
Bis 2050 will die Bundesregierung die Klimaneutralität umgesetzt haben. Dies bedeutet, dass keine fossilen Brennstoffe mehr genutzt werden sollen. Mit der Energiewende geht jedoch auch eine Materialwende einher sowie immer größere Anforderungen an die Ressourceneffizienz. Zeitgleich sind noch nicht alle Herausforderungen technologisch gelöst.
Wasserstoff ist ein wichtiger Teil der Strategie, mit der die Energiewende gelingen soll. Mit einem Blick in die Zukunft startete daher der erste Wasserstoff-Bürgerdialog der Fraunhofer-Institute IEE, IWKS und LBF, an dem rund 100 interessierte Bürgerinnen und Bürger teilnahmen. Für zukünftige Prognosen nutzt Jochen Bard, Bereichsleiter Energieverfahrenstechnik am Fraunhofer IEE, jedoch mitnichten eine Glaskugel, sondern Berechnungen innerhalb von verschiedenen Energieszenarien. »Wenn wir von der Klimaneutralität im Jahr 2050 ausgehen, dann besteht in Deutschland ein prognostizierter Energiebedarf von etwa 2000 TWh netto«, erklärte Bard. Dieser setze sich im Wesentlichen zusammen aus 490 TWh für Gebäudewärme, rund 350 TWh Industrieprozesswärme, rund 460 TWh herkömmlichem Stromverbrauch, ca. 300 TWh Straßen- und Bahnverkehr, 260 TWh Flug- und Schiffsverkehr und einem Restanteil für den nicht-energetischen Verbrauch.
Wasserstoff als Sekundär-Energieträger
»Aus Effizienzgründen sollte die direkte Nutzung von regenerativ erzeugtem Strom Vorrang haben. Dort wo das technisch und wirtschaftlich nicht möglich ist, bietet sich grüner, also aus erneuerbaren Energien erzeugter, Wasserstoff als Sekundär-Energieträger an«, erklärte Bard. Das betreffe im Wesentlichen den Flug- und Schiffverkehr, Teile des Straßen- und Bahnverkehrs sowie der nichtenergetischen Nutzung. Das Potenzial für die Wasserstofferzeugung in Deutschland sei allerdings begrenzt. Im Umkehrschluss bedeute dies, dass Deutschland den Großteil seines Wasserstoff-Bedarfs aus dem Ausland importieren müsse. Erzeuge dies nicht hohe geopolitische Abhängigkeiten und Erpressbarkeiten oder öffne dies nicht sogar die Türen für einen neuen Kolonialismus, fragte ein Teilnehmer nach. Natürlich, so Bard, dürfe man das Energiegefüge nicht für Deutschland isoliert betrachten. Partnerschaften mit Erzeugerländern sind sehr wichtig – und das Interesse in den betreffenden Ländern, so seine Erfahrung, sei groß. Schließlich bleibe es ein Nehmen und Geben. Bard stellte in diesem Zusammenhang auch den vom Fraunhofer IEE entwickelten globalen Power-to-X-Atlas vor. Dieser zeigt nicht nur, welche Länder eher Wasserstoffimporteure oder -exporteure sind, sondern gibt auch einen Überblick zu Herstellungs- und Transportkosten.
Bei den Einsatzfeldern von Wasserstoff nannte Bard neben der Ammoniaknutzung auch die Stahlproduktion. Für die Gebäudewärme sei Wasserstoff jedoch beispielsweise im Vergleich zur Wärmepumpe keine Option, so Bard, da nicht effizient genug. Eine Diskussion entbrannte unter den Gästen beim Thema Mobilität: Laut Bard sei ein Elektroauto bisher weit effizienter als ein rein wasserstoffbetriebenes Fahrzeug. Jede Energieumwandlung berge Verluste, merkte ein Teilnehmer an. Insbesondere E-Fuels, also synthetische Kraftstoffe, die mittels Strom hergestellt werden, seien noch viel zu ineffizient. Dagegen hielt ein anderer Teilnehmer, dass E-Fuels mit dem Ziel der CO2-Einsparung und für einen Übergang sehr wohl sinnvoll eingesetzt werden könnten.
Belastungscheck für Wasserstoffsysteme
Das Thema Mobilität griff dann auch Christoph Bleicher, Koordinator der Wasserstoff-Forschung am Fraunhofer LBF auf. Seine Forschungsarbeit setzt sich mit der Betriebsfestigkeit von Wasserstoffsystemen auseinander. Um dies zu veranschaulichen, nannte Bleicher die mechanischen Belastungen wie Straßenunebenheiten oder Erschütterungen sowie Umwelteinflüsse wie Korrosion, denen etwa Fahrzeuge im Alltag ausgesetzt sind. Auch bei Leitungen für den Wasserstofftransport muss einiges beachtet werden. So entwickeln und untersuchen die Forschenden um Christoph Bleicher verschiedene Beschichtungen, um neue aber auch bestehende Erdgasleitungen nutzbar zu machen bzw. deren Langlebigkeit sicherzustellen. »Wir untersuchen, welchen Einfluss verschiedene Bedingungen auf die Lebensdauer von Wasserstofftechnologien wie beispielsweise Brennstoffzellen haben. Wasserstoff stellt besondere Anforderungen an die verwendeten Komponenten und Materialien, insbesondere im Kontext der potentiell auftretenden, sogenannten Wasserstoffversprödung«, betonte Bleicher. Diese Versprödung kann zu Rissen im Werkstoff und zu vorzeitigen Ausfällen von Bauteilen führen. »Noch existieren nur wenige gesicherte Erkenntnisse darüber, welche Ermüdungseffekte oder Schädigungsmechanismen auftreten. Es existieren zudem auch kaum geeignete Validierungskonzepte und -methoden und -einrichtungen, die es erlauben, alle mit der Nutzung von Wasserstoff einhergehenden Effekte adäquat zu berücksichtigen. Unsere Forschungsarbeiten sind darauf ausgerichtet, dass wir mit Lösungen für die Gestaltung von Materialien und Bauteilen beitragen, auch die wasserstoffbasierte Mobilität sicher, wirtschaftlich umsetzbar und effizient zu machen«, fasst LBF-Institutsleiter Tobias Melz zusammen.
Nachhaltige Materialien für grünen Wasserstoff
Materialien und insbesondere nachhaltige Materialien standen im Mittelpunkt des letzten Impulsvortrags von Benjamin Balke, Projektleiter des Wasserstoffleistungszentrums am Fraunhofer IWKS. Seine Forschungsgruppe untersucht und entwickelt grüne Materialien für Wasserstofftechnologien. »Man muss es sich so vorstellen: Innovationen folgen immer der Entwicklung neuer Materialien. Es kommen immer neue hinzu. Dies hat natürlich Auswirkungen auf den Rohstoffverbrauch«, so Balke. »Unsere Vision am Fraunhofer IWKS ist, eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft zu realisieren – und dies auch für die Wasserstoffökonomie. Im Idealfall werden so bereits im Umlauf befindliche Rohstoffe aus alten Produkten zurückgewonnen und in neue eingesetzt. Dabei setzen wir nicht nur auf Recycling, auch Refurbishing (Instandsetzung) und Remanufacturing (Aufbereitung) sind wichtige Bestandteile eines Kreislaufsystems. Am Ende können wir so die nicht mehr nachverfolgbare Verteilung und Deponierung von wertvollen Ressourcen vermeiden.« Im Bereich Wasserstoff untersuche Balke beispielsweise Möglichkeiten der Substitution für kritische Elemente in Membranen der Elektrolyseure. »Iridium wird in den Elektroden an der Membran eingesetzt, die vereinfacht gesagt für die Trennung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff sorgt. Das Metall ist teuer und muss importiert werden, daher ist das Interesse an einer Alternative groß. Geht man von einer benötigten Elektrolyseur-Leistung in Deutschland von bis zu 80 GW bis 2050 aus, bedeutet dies
a) bei bis zu zwei Gramm Iridium pro kW Elektrolyseleistung eine benötigte Menge an Iridium von bis zu 160 t (nur zur Deckung des Bedarfs der Elektrolyseure und damit zusätzlich zu dem ohnehin bereits bestehenden Bedarfsmengen). Die globale Iridium-Fördermenge beträgt heute allerdings nur acht Tonnen pro Jahr. Dies verdeutlicht, dass selbst einzeln betrachtet kleine Mengen an wertvollen bzw. kritischen Materialien in der Gesamtbetrachtung sehr stark ins Gewicht fallen können.
b) bei einer Leistung von 100 MW pro Modul eine Anzahl von etwa 800 Elektrolyseuren benötigt werden. Ein industrieller Elektrolyseur wiegt zwischen 25 bis 30 t, je nach Ausführung. Das macht über 20.000 t an Material aus. Dieses Material sollte einen so geringen ökologischen Fußabdruck wie möglich haben.«
Ein anderes Beispiel, so Balke, sind Brennstoffzellen. »Auch sie müssen ähnlich wie Li-Ionen-Batterien irgendwann entsorgt werden. Tatsächlich können Brennstoffzellen schon recycelt werden, jedoch sind die Prozesse aktuell vor allem auf die wertvollen Edelmetalle wie Platin und Ruthenium abgestimmt. Zudem entstehen bei dem aktuell eingesetzten Verfahren hochgiftige Fluorverbindungen aus der fluorierten Nafion-Membran, wodurch eine großformatige Umsetzung eine sehr aufwendige Abgasreinigung voraussetzt. Ziel der Forschung ist es also, die hochwertigen Materialien aus der Elektrodenbeschichtung und die Polymermembran der Brennstoffzellen vor dem Schmelzprozess abzutrennen und so die Entstehung von Fluorwasserstoff zu unterbinden. Zudem forschen wir daran, auch unedlere Metalle wie Stahl oder Aluminium zurückzugewinnen.«
Der Wasserbedarf spiele ebenfalls eine große Rolle für die Nachhaltigkeitsbetrachtung der Wasserstoffökonomie. So fragte ein Teilnehmer, ob es nicht besser wäre, Salzwasser für die Wasserstoffproduktion zu verwenden. Hier waren sich die Forscher einig: Eine Verwendung von Meerwasser sei auf jeden Fall zu bevorzugen. Aktuell müsse hierfür noch eine Meerwasserentsalzungsanlage vorgeschaltet werden, jedoch gebe es bereits Bestrebungen und erste Erfolge in der Forschung, die Wasserstoffproduktion direkt aus Salzwasser zu ermöglichen. Dies sei ein wichtiger Schritt für die Erhöhung der Effizienz.
»Wir ziehen eine äußerst positive Bilanz unseres ersten Wasserstoff-Bürgerdialogs. Die rege Beteiligung und das große Interesse am Thema Wasserstoff und der Forschung vor Ort freut uns sehr«, so Anke Weidenkaff, Leiterin des Fraunhofer IWKS und Initiatorin des Bürgerdialogs. Ziel der Veranstaltung war es, nicht nur einen Einblick in die Forschung der drei Fraunhofer-Institute in Hessen zu geben, sondern auch wichtige Anregungen und Impulse aus der Bevölkerung aufzugreifen. »Nicht umsonst forschen wir anwendungsnah und mit dem Ziel, technische Lösungen für eine zeitnahe Umsetzung zu finden. Der Dialog hat auch noch einmal verdeutlicht, dass sich die verschiedenen Forschungsschwerpunkte und Kompetenzen der Institute sehr gut ergänzen. Noch längst sind nicht alle Herausforderungen rund um Wasserstoff gelöst und alle Fragen beantwortet – der Bedarf an weiterer Forschung ist also groß. Das nehmen wir als Ansporn mit!«, resümiert Weidenkaff.
Abonnieren Sie hier unseren Newsletter und erhalten Sie regelmäßig Updates zu unserer Forschungsarbeit sowie Veranstaltungen.